Philip Camerier

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Philip Camerier leidet an PLS, eine Krankheit nahe verwandt an ALS. Bei ALS sterben sowohl die zentrale als die periphere Motoneuronen, bei ALS sind nur die zentrale Motoneuronen betroffen. Teil der PLS-Patienten entwickeln in einer späteren Phase doch ALS, ein kleiner Teil mit PLS hat keine ALS. Diese Krankheit ist sehr selten, 10 Mal seltener als ALS, und in Belgien bestehen nur +/- 50 Patienten. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist viel hoffnungsvoller als bei ALS und beträgt 10-15 Jahre. Angesichts der engen Beziehung zur Krankheit lassen wir hier Philip sprechen, damit er seine Geschichte erzählt.

Guten Tag Philip, bitte stell dich kurz vor.

Ich bin 50 Jahre alt und arbeite in der Bauabteilung von Q8 Retail Belgium, d.h. der interne Dienst der sich mit den Bau- und Renovierungsarbeiten der mehr als 385 Tankstellen der Kuwait Petroleum Company in unserem Land beschäftigt. Als Mann arbeite ich als Manager der sich in einer Hinsicht von den anderen Leuten unterscheidet: ich leide an einer seltenen Krankheit, PLS oder primäre Lateralsklerose.

Wie und wann wurdest du diagnostiziert?

In 2004 stellte ich fest, dass mein rechter Fuß unkontrollierbar schwang. Der Familienarzt war sich der Ernst der Lage nicht sicher, aber ich spürte dass etwas nicht stimmte. Während eines Waldspaziergangs stellte sich heraus dass ich nicht mehr hüpfen konnte. Der Befehl vom Gehirn aus erreichte die Beine nicht mehr. Schließlich erreichten die Ärzte den Schluss, dass ich an PLS leide. Die Diagnose erfolgte nach einer Serie von nervigen MEP-Tests sowie weitere Nadelflusstests und noch eine Lumbalpunktion (mit Auslaufen und schreckliche Kopfschmerzen am Tage danach) und Scans von Rücken und Nacken.

Und wie hat sich dein Zustand seitdem entwickelt?

In 2004 gelangen mir noch die üblichen Dinge. Seitdem hat sich mein Zustand verschlechtert. Tatsache ist dass sich das Schreiten seit den letzten drei Jahren nicht mehr verschlechtert hat. Das sprechen hingegen fällt mir schwer. Es verläuft mühsam, besonders beim telefonieren. Ich glaube dass die Menschen mir besser zuhören heute. Ich war nie ein Sprachwasserfall. Jetzt habe ich mehr Zeit um während eines Gesprächs nachzudenken, aber bin zu albern um ‘euh’ zu sagen zwischendurch.

Die Bewegung ist sehr wichtig und der Spazierstock gibt ein deutlich wahrnehmbares Signal zu den gelegentlich unwissenden Mitmenschen. (Philip erzählt dass er in 2005 ein Spazierstock gekauft hat). Anscheinend bedeutete dies ein Rückschritt, aber nachher kam das Gegenteil heraus. Dieser Stock bedeutet, dass ich nicht betrunken bin. Am Anfang war ich verlegen. Diese Verlegenheit habe ich hinter mir gelassen. Ich komme erneut unter die Leute, begebe mich ins Stadttheater oder zur Leistung meiner Töchter, begleitet von meiner Ehefrau. Auch das Autofahren gelingt mir, jedoch seit kurzem - auf Anordnung des Arztes - mit einem Auto mit Automatikgetriebe. Dieser wurde mir seit den letzten drei Jahren empfohlen, bei der letzten Kontrolle sogar verpflichtet. Das Fahren verläuft viel einfacher. Die Krankheit ist so schleppend, dass man die Zeit hat zu lernen, Engpässe auszugleichen. Es wirkt zugleich konfrontierend und frustrierend dass ich jedes Jahr erneut den Führerschein bekommen muss, da ich meine dass es viel schlechtere Fahrer gibt als ich. Ich stelle fest dass ich viel verteidigender fahre. Mein letzter CARA-Test hat mir einen 2-jährigen Führerschein besorgt.

Du versuchst dich auszuhelfen soviel es geht. Wie sieht der Alltag seidem aus? Musstest du aufhören zu arbeiten?

Seit der Krankheit habe ich keinen einzigen Tag daheim krankgeschrieben verbracht. Wenn ich mich zum NMRC begebe, mache ich keinen Urlaubstag. Aber so war ich immer. Einmal vor fünfzehn Jahren war ich drei Tage zu Hause mit einer Grippe. Mit Hilfe einiger einfachen Maßnahmen vereinfachte mir der Arbeitgeber das tägliche funktionieren: z.B. mit einem reservierten Parkplatz sowie einer Fernbedienung für das Garagentor. Mein neuester Firmenwagen hat ein automatisches Getriebe und ich versuche zweimal pro Woche von daheim zu arbeiten, dies gelingt mir nur falls es keine Besprechungen gibt.

Wie fabelhaft dass du das alles noch erreichst, hoffentlich bleibt das so. Spielen die Krankheit und die Einschränkungen eine Rolle bei der Arbeit?

Meines Zustandes zufolge habe ich zusätzliche Anpassungen erhalten im Rahmen der Zugänglichkeit der Tankstellen die wir bauen und der Sicherheit der Baustellen. Wir sorgen für Parkplätze für Behinderte, vermeiden Schwellen, verlegen Rampen und Geländer wo nötig. Beim erreichen einer Baustelle bin ich sehr kritisch. Die Sicherheit von Gestellen, Leitern, Kleidung, Augenschutz, Helme: ich beachte das ganz besonders. Heutzutage besuche ich die Baustellen nur noch nachdem alles flach ist und fast fertig.

Du führst denn auch einen eigenwilligen Slogan namentlich ‘Arbeit ist die geeignetste Therapie’. Ich bin sicher dass viele Patienten dem zustimmen, selbst wenn die Arbeit oft aus Notwendigkeit beschränkt bleibt auf nicht-physische Körperarbeit, diese bleibt eine wichtige und sinnvolle Tätigkeit. Du kannst dich auch in diesem Gedanken wiederfinden?

Ich bin weder ein Pep Talker noch ein Tischpullover aber der ruhige Typ mit bescheidenem Stolz der wegen meiner Passion andere inspirieren möchte das gleiche zu unternehmen. Ich lasse den gesunden Menschenverstand vorherrschen. Mein Zustand veranlasst mich die Kollegen immer mehr zu respektieren infolge meines Beharrens (manchmal tierisch abnormal):-)) Infolge meiner dreiundzwanzigjährigen Erfahrung bin ich eine Art Walking-Datenbank an der meine Kollegen oft appellieren. Mein Zustand macht dass ich mehr von meinem Arbeitgeber abhängig bin als ein arbeitsfähiger Mitarbeiter. In dem Sinne bleibt physische Arbeit mir vorenthalten. Meine Arbeit erweist sich als die bestmögliche Therapie. Legen Sie mich ohne etwas zwischen vier Wände und ein Tag dauert eine Ewigkeit. Ich möchte jeden dazu bringen das ganze solang wie nur möglich durchzuhalten denn jeden Tag solltest du für dich die Messlatte senken. Mein Motto lautet dann auch : genieße was du noch kannst, backe einen Kuchen zum weggeben, lebe langsamer. Hierbei fühle ich mich von meiner Familie unterstützt. Daheim werde ich wie ein König gut aufgepasst seitens unseren hilfreichen sechszehn- und zwanzigjährigen Töchtern und von einer Ehefrau von Tausend. Wegen meiner Beschränkungen sind auch sie beschränkt. Am Anfang meiner Krankheit war ich noch vollends davon überzeugt dass ich ein minderwertiger Partner und Papa sein würde. Aber jetzt Weiß ich dass die Krankheit unsere Träume ermöglichen kann. Vergangenes Jahr während der Osterferien waren wir in New York, mit dem Rollstuhl. Dieses Jahr sind wir bis nach Abu Dhabi und Dubai verreist. Diese Reisen sind unglaublich erfolgreich geworden. Viel besser sogar als in Belgien oder Frankreich.

Zu guter Letzt wie siehst du die Zukunft und was erhoffst du dir oder erwartest du davon?

Ich hoffe dass das schreiten in Zukunft nicht weiterhin verschlechtert. Die Treppen hinauf gehen ist kein Problem, so lange ich nur zwei Armlehnen verwenden kann. Eine Badewanne gelingt mit nicht mehr, das Duschen jedoch geht noch ausgezeichnet. Meine Feinmotorik verschlechtert. Die Knöpfe eines Hemdes befestigen dauert immer länger. Und das telefonieren versuche ich soviel wie möglich einzudämmen. Der eine Tag ist der andere nicht. Schwierigere Blasenkontrolle, ersticken, peinliche Lachanfälle, eine geringere Alkoholtoleranz, eine böse Fliege die ich nicht mehr fangen kann. Trotzdem ist es uns voriges Jahr gelungen, eine Dachbodentreppe zu installieren. Sie war in vier Stücken, so dass ich sie einfacher mit Hilfe meiner drei Frauen montieren konnte. Ich mähe noch immer den Rasen mit einem Gerät dass ich selbst zu einem Reitmäher konvertiert habe. Viel Chance auf Heilung gibt es nicht, teilweise weil diese seltene Krankheit gar nicht priorisiert wird von der Pharmaindustrie. Die Seltsamkeit der Krankheit macht dass es zu wenig Untersuchungen gibt und keine Gelegenheit besteht dass jemals eine Heilung mittels Medikation kommt die in meinem Fall noch rechtzeitig eine Veränderung bewirken kann. In den Augen der Pharmaindustrie ist die Gruppe von Patienten denen ich angehöre zu klein und demzufolge ist das Gewinnpotenzial zu gering. dass es einen Durchbruch geben wird für eine verbundene Krankheit, wie ALS oder MS, die zufällig auch im Rahmen von PLS funktionieren kann. Ich hoffe meistens dass meine Ehefrau, meine Kinder sowie meine Eltern gesund bleiben, da ich mich nicht um sie kümmern kann wie sie es für mich tun. Was mich selbst betrifft, hoffe ich besonders dass meine Krankheit stabilisiert. Ich trainiere zweimal wöchentlich auf den Heimtrainer (15 bis 30 Minuten an max. 50 watt). Jede vierzehn Tage gehe ich eine Stunde schwimmen. Zusammen mit der Ehefrau nehme ich manchmal ein warmes Bad. Zum öffentlichen Schwimmbad begebe ich mich nicht mehr, da ich wegen der enormen Hektik in Panik gerate und auch weil meine Muskeln dort versteifen infolge des für mich zu kalten Wasser. Außerhalb der Sommermonate benutze ich unsere entspannende Infrarotkabine. Wöchentlich besuche ich den Physiotherapeuten und folge Sprachtherapie. Manchmal stürze ich zweimal innerhalb einer Woche. Manchmal stürze ich nicht innerhalb von 5 Wochen. Zum Glück habe ich noch nie etwas gebrochen. Wohl wurden ein Paar Zähne erneut und war ein Daumen fehl am Platz. Ich bekam eine Phobie für automatische Türen sowie zu schnell schließende Aufzugstüren. Ich wünsche meine Leidensgenossen und all diejenige die sich in mir erkennen gute Besserung. Besonders diejenige die in einem schlechteren Zustand sind als ich und nicht zu vergessen ihre Partner, Kinder und Eltern wünsche ich viel Mut!

 

Übersetzung: Eric Kisbulck

Quelle: Newsletter 161 - Juli, August, September

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