Wenn ich in meinem Atelier zeichnen kann, ist mein Tag gerettet

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Jaklien Vandermeulen hat schon ihr ganzes Leben lang gezeichnet und gemalt. „Seit dem Moment, dass ich einen Bleistift festhalten konnte“, sagt sie. Beruflich war sie Gründerin und jahrelang Direktorin der vzw Home Info, eine Organisation, die unter anderem über die Qualität der Brüsseler Erholungsheime Informationen liefert. 2016 wurde bei ihr ALS diagnostiziert. 

Jaklien Vandermeulen

Alte, die in der Brüsseler Region auf der Suche nach einem Erholungsheim, einer Seniorenwohnung oder einer Ambulanz usw. sind, können sich an Home Info wenden. 2009 kam Brussels Meldpunt Ouderenmis(be)handeling, eine Anlaufstelle für die Misshandlung alter Menschen, hinzu. Auch für diese Organisation setzte Jaklien, die zwischendurch einige Male an die 20 km von Brüssel teilnahm, sich voll ein. Zur gleichen Zeit gab sie als Freiwillige Zeichenunterricht für Häftlingen in dem Gefängnis von Sint-Gillis. 2014 ging sie auf Rente. Letztendlich hatte sie die Zeit um sich der Zeichenkunst und der Malerei zu widmen, dachte sie. Aber die Krankheit entschied anders.

„Ich habe tatsächlich mein ganzes Leben lang gezeichnet. Sobald ich konnte, habe ich die Kunstakademie besucht. Ich habe noch darüber gezweifelt, ein Kunststudium zu verfolgen, aber schließlich habe ich mich für ein Sozialstudium entschieden. Trotzdem habe ich immer gezeichnet, auch viel für andere Personen: für die Schule meiner Kinder, wenn etwas gezeichnet werden musste, für die Zeitschrift meiner Arbeit, im Grunde für jeden, der mich darum gebeten hat. Als ich auf Rente ging, wollte ich vor allem zwei Dinge tun: mich um meine Enkelkinder kümmern und für mich selbst zeichnen und malen. Das habe ich auch zwei Jahre machen können. Morgens ging ich zu meinem Atelier und zeichnete und malte ich den ganzen Tag: mein Traum. Aber 2016 wurde die Diagnose erstellt.“ 

Was waren die ersten Symptome? 

Ich hatte ein bisschen Kräfteverschließ in den Händen, ich hatte plötzlich Schwierigkeiten, den Verschluss der Milchflasche auf zu drehen oder den Schlüssel herumzudrehen. Zunächst dachte ich an Arthrose, aber der Arzt schlug doch vor, eine neurologische Untersuchung durchzuführen. Das war dann in einem Brüsseler Krankenhaus, in dem sie mit einer EMG (Elektromyographie) von meinen Armen und Beinen anfangen wollten. Auf dieser Grundlage ließen sie mich wissen, dass sie noch eine Reihe Untersuchungen durchführen wollten, für denen ich drei Tage in dem Krankenhaus bleiben musste. Das war in Juli 2016. Eine Woche später wurde die Diagnose gestellt: Ich hatte ALS. 

Hatte Sie es schon geahnt? 

Nein, das hatte ich überhaupt nicht erwartet. Ich fühlte mich auch nicht krank, ich hatte nur ein bisschen Kräfteverschließ. Es gibt auch niemanden in der Familie, der an diese Krankheit leidet. Ich kannte sie auch kaum. Mein Mann, der Architekt ist, wusste sofort von welcher Krankheit es sich handelte. Seine Firma hatte schon einen Umbau für jemanden mit ALS bewerkstelligt. Später haben sie mich in Löwen gesagt, dass es keine erbliche Variante war. Das ist Glück im Unglück: Meine Kinder, Enkelkinder und meine Familie sind vor der Krankheit geschützt. 

Wird ihr Haus auch umgebaut werden?

Mit meinen Händen und Armen geht es in den letzten Monaten schnell bergab und auf lange Sicht wird ich auch einen Rollstuhl brauchen: also Ja. Das Problem ist, dass der Verlauf der Krankheit nicht voraussagbar ist und es deshalb schwierig ist, zu planen. Trotzdem hat mein Mann inzwischen schon mit einigen Vorentwürfen angefangen. Er hat auch Kontakt mit einigen Fabrikanten von Aufzügen aufgenommen. Wir möchten in unserem Haus in Brüssel wohnen bleiben. Es ist ein tolles Viertel mit tollen Nachbarn. Sie haben uns auch schon wissen lassen, dass wir immer auf sie rechnen können, wenn wir Hilfe brauchen. 

Wie sind Sie mit der ALS Liga in Kontakt getreten?

Die Neurologe, der die Diagnose erstellt hat, hat uns kurz erklärt, was los war und dass wir einen Monat später mit Fragen wiederkommen konnten. Einen Monat später hatten wir also einen neuen Termin, aber während der halben Stunde, die uns zugeteilt wurde, wurde die Ärztin dreimal weggerufen. Sie wollte auch lieber nicht, dass wir uns Notizen machten, wir sollten ihr lieber zuhören. Sie hatte uns auch nicht erklärt, dass es ein NRMC (ein neuromuskuläres Zentrum) gibt, dass es sich nicht von einer erblichen Variante handelte und sie hat auch keine Lungenuntersuchung durchgeführt. Nach einer halben Stunde machte sie Schluss: Kommen Sie über sechs Monate noch mal wieder. Es war wirklich furchtbar. Schon schnell sind wir mit Professor Van Damme in Gasthuisberg, Löwen in Kontakt getreten. Das war völlig anders. Er hat sich Zeit für uns genommen. Nach einigen zusätzlichen Untersuchungen hat er die Diagnose ALS bestätigt und hat er über das NRMC und die ALS Liga erzählt. Als ich das alles hörte, habe ich mich sofort der Liga angeschlossen. Medizinisch kann niemand mich heilen, aber das NRMC und die ALS Liga helfen uns so gut, dass die Krankheit erträglich wird. Ich finde die Unterstützung wirklich unglaublich. Ein Ergotherapeut des NRMC aus Löwen war sogar bei uns zu Hause, um sich die Umbaupläne meines Mannes anzusehen und uns zu beraten. 

Haben Sie noch eine positive Botschaft für anderen Patienten?

Die Arme und Beine wiegen mich schwer und für alles muss ich mich bemühen. Aber da ich mich noch nicht krank fühle, nehme ich es nicht zu Herzen und genieße ich jeden Moment. Ich stelle nichts mehr zurück. Wenn ehemalige Kollegen mich anrufen, um mittags etwas zusammen zu essen, sage ich immer Ja. Demzufolge bin ich jetzt oft im Stadtzentrum zu finden. Das tut gut und das genieße ich. Es nützt nichts, wenn ich mich den ganzen Tag darüber gräme. Es tut mir Leid, dass ich einige Sache nicht mehr machen kann, zum Beispiel das Klavier oder die Gitarre spielen, auch das Zeichnen und Malen kann ich nicht mehr genauso wie früher. Manche Tage gelingt es mir zu zeichnen, aber andere nicht. Ich zeichne nur noch meine zwei Enkelkinder. Statt eines Album mit Fotos zu machen, zeichne ich sie und mache ich für jeden ein kleines Buch, das ich Ihnen später schenken werde. Sie sind jetzt sechs Jahre alt und sie besuchen uns viel. Wir haben ihnen nur noch nicht gesagt, dass ich ALS habe. Wir sagen nur das ich einen Kräfteverschließ habe, weil ich älter wird. Solange ich noch künstlerisch tätig sein kann, bin ich zufrieden. Wenn ich in meinem Atelier zeichnen kann, ist mein Tag gerettet. 

 

Beispiele der Werke von Jaklien Vandermeulen finden Sie auf ihrem Blog www.jaklienvandermeulen.blogspot.com und auf ihrer Website www.jaklienvandermeulen.net

Weitere Informationen zu dem vzw Home Info finden sie auf: www.home-info.be

 

Übersetzung: Kim

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