Danny Cappittel

←zurück nach Erlebnisberichte zu pALS

Während des Kontaktwochenendes im Pflegehotel „Middelpunt“ sprechen wir mit Danny Cappittel, 57 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in Overijse. Danny ist ohne Partner oder Begleiter nach Middelkerke abgereist. 

Kannst du dich mal kurz vorstellen, Danny? 

Ich bin als Kind zwischen den Trauben aufgewachsen. Ich dachte immer, unsere Familie seien arme, fleißige Menschen. Im Nachhinein waren wir Freiberufler und doch habe ich für eine kurze Zeit eine gute Jugend gehabt. Bis meine Mutter mit 46 Jahren an einer dann noch unbekannten Krankheit starb, ich war damals 15 Jahre alt. Das war wahrscheinlich auch ALS gewesen, aber damals war die Diagnose „Austrocknung des Gehirns“.

Der Tod meiner Mutter hatte beträchtliche Auswirkungen auf mich, aber noch mehr auf meinen Bruder, der 6 Jahre älter ist und inzwischen auch schon an ALS gestorben ist. Er war mit seinem Militärdienst beschäftigt und ich war gerade in meiner Adoleszenz. Später, als ich schon verheiratet war, habe ich mit 24 Jahren während zwei Jahre an einer Depression gelitten. Wahrscheinlich hatte das mit dem Tod meiner Mutter zu tun, weil ich alles all diese Jahre verdrängt hatte.

Wann hast du selbst herausgefunden, dass du an ALS leitetest?

Dank meines Bruders. Als er krank wurde, wussten wir noch nicht, was los war. Er war ziemlich spät bei Professor Robberecht gelandet. Er hat die Krankheit meines Bruders und meiner Mutter in Verbindung gebracht. Er hat wahrscheinlich das Dossier meiner Mutter im psychiatrischen Krankenhaus eingesehen. Sie war dort ein Jahr eingewiesen, weil mein Vater Freiberufler war und keine Zeit hatte, sich um sie zu kümmern. Damals gab es noch keine spezifische Pflege wie jetzt.

Professor Robberecht stellte fest, dass es sich bei uns um die erbliche Form von ALS handelt. Mein Bruder ist Mai 2013 gestorben und hat nicht so lang an die Krankheit gelitten, wahrscheinlich weil das Diagnose erst spät bei ihm gestellt wurde. Er hatte sich dann abgesondert und wollte niemand mehr sehen. Er hatte auch nichts unternommen.

Bei mir gehörte das Einfallen des linken Daumensattelgelenks zu den ersten Symptomen. Mein Arzt sagte mir, dass ich nicht sofort davon ausgehen musste, dass es die gleiche Krankheit wie meinen Bruder und meine Mutter sei. Dann habe ich mich untersuchen lassen, um ALS auszuschließen. Im Gegensatz zu meinem Bruder versuche ich nicht, mich von der Welt abzuschließen. Das ist nicht, um im Brennpunkt des Interesses zu stehen, sondern um zum Beispiel die IceBucketChallenge bei uns in der„Druivenstreek“, einer Gegend in der belgischen Provinz Flämisch-Brabant, zu lancieren. Ich bin froh und stolz, dass ich das für den Nachwuchs machen kann.

Ich habe an einem Studium in Löwen teilgenommen. Da saß jeder in seiner Eckchen und gab es zwischen den Patienten wenig Kontakt. Die IceBucketChallenge hat uns als Patienten näher gebracht. Die IceBucketChallenge ist eigentlich etwas, das von den Patienten als Gruppe ausgeht. Ich denke auch, dass Erforschung nach Muskelkrankheiten damit direkt und indirekt geholfen seien. 

Bei mir ist das Diagnose jetzt etwa zwei Jahre gestellt, aber es hat schon eher angefangen. Abgesehen von meinem Job war ich ein leidenschaftlicher Radwanderer. Ich habe sogar 35 Mal den Mont Ventoux erobert. Auch das Skifahren war ein Sport, den ich liebte. Ich gehörte zu den „Ardennenrijders“, den Langstreckenradfahrer. Ich erinnere mich, dass ich 2005 in einem Tag den Mont Ventoux dreimal erobert hatte, und dass ich damals, was Ausdauer betrifft, zu den besseren Radfahrer des Vereins gehörte. Das kam langsam herunter und ich dachte, dass ich älter werde, und dass ich nicht mehr genug radelte. Ich dachte, es sei nichts Schlimmes. Bis vor einigen Jahren. Ich war immer der erste der Gruppe, der passen musste. Es ist aber später, wenn ich das Diagnose von ALS bekam, dass ich dies an die Krankheit verbunden habe. 

Ich habe mich auch am Fällen von Bäumen im Zonienwald beteiligt. Ich benutzte eine schwere Kettensäge, die man ziehen musste. Eines Tages gelang mir das nicht mehr. 

Ich habe bis Oktober letzten Jahres gearbeitet. Ich war Nachsorger von Aufnahmen im Energiemarkt, Gas und Elektrizität. Mit der Öffnung des Marktes halfen wir Menschen, die von Lieferanten wechselten, um einen Neuen zu wählen. Wir besuchten und halfen auch Menschen, die Zahlungsprobleme hatten. Ich habe das immer gerne gemacht. Als ich hörte, dass ich nicht mehr arbeiten durfte, war es schwierig. Man vermisst die Regelmäßigkeit und den sozialen Kontakt. Ich mag es, unter den Menschen zu sein.

Womit beschäftigst du dich jetzt eigentlich?

Der Papierkram nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Als ALS-Patienten muss man ständig beweisen, dass man effektiv an diese Krankheit leidet, in Bezug auf den belgischen Föderalen Öffentlichen Dienst, die Krankenkasse, die Korrespondenz, Gutachten etc... Ich war vor alles allein verantwortlich, meine zweite Frau ist französischsprachig und ich war immer derjenige, der den ganzen Papierkram machte und die Führung übernahm. 

Hast du ein neues Hobby als Ersatz für das fanatisches Sport treiben gefunden?

Im November letzten Jahres bin ich nach einer Indoor-Skihalle in Komen gegangen, um das Skifahren zu testen. Ab dem Moment, dass ich meine Skischuhe angezogen hatte, konnte ich wieder normal laufen, weil so einer Stiefel ganz steif ist. Aber ich konnte die Ski nicht mehr drehen. Mein Schwager, der an diesem Moment bei mir war, war davon sichtbar erschrocken. Ich habe es in seinen Augen gesehen. Ich dachte also, dass ich mit dem Skifahren, nachdem ich auch schon das Rad fahren hätte aufgeben müssen, definitiv aufhören musste. 

Jemand hatte mir dann die Adresse www.anvasport.be gegeben.

Ich habe sie angerufen, um mal testen zu gehen, und so habe ich das Snowbike gelernt. Es ist eine Art Fahrrädchen mit einer Lenkstange, die auf Ski montiert ist. 

Ist es das, was wir oft im Fernsehen sehen, wo man auf einem einzigen Ski sitzt? 

Nein, das ist sitzend Skifahren, was eine der Herausforderungen war im belgischen Fernsehprogramm „Wauters vs Waes“. 

Nach etwas 15 Minuten verstand ich, wie das Snowbiken funktionierte. Das Problem war jedoch das Aufstehen, aber das war unter professionelle Begleitung. Ich fühlte mich wiederum wie einer der besten Skifahrer. 

Mir gehen die Hände jedoch schlechter und mein größter Angst ist, dass ich jetzt, mit dem Winter vor der Tür, meine Lenkstange nicht mehr festhalten kann. Wenn ich auch das aufgeben muss, dann bleibt nur das sitzend Skifahren noch übrig...

Ich bin eigentlich in dieser Welt hineingeworfen aus meiner Ambition, um nicht nur im Haus herumsitzen zu müssen. Ich habe viel Mut dafür gebraucht, um mich unter unbekannte Menschen zu mischen. Ich bin froh, dass ich es gemacht habe, trotz der Angst und des Stresses. Aber ich wusste schon, dass es nicht so schlimm sein würde, mich unter neue Menschen zu befinden, denn ich passe mich gut an. Ich habe da Freunde gemacht. Gestern haben einige Freiwilligen von Anvasport, die hier an der Küste wohnen, mich während des Kontaktmoments besucht.

Würdest du das andere Patienten auch raten?

Sportliche rollstuhlgängige Menschen würde ich raten, Mitglied von Anvasport zu werden. Auch wenn man nicht Ski fährt, kann man damit anfangen, es ist wirklich ein heißer Tipp!

Für sitzendes Skifahren braucht man die Handfunktion sogar nicht, man steuert mit seinem ganzen Körper, also das ist etwas, dass man weiterhin machen kann.

Das Sport treiben macht mir auch Hoffnung. Als ALS-Patienten fallen die Zukunft und deine Pläne aus. Jetzt ist es ein Ziel an sich, mit dieser Organisation mitzugehen. Das ist wichtig, ich lebe dem entgegen, das macht mir Hoffnung und beschäftigt mich auf eine positive Art. 

Wenn ich in einem bestimmten Stadium der Krankheit komme, wenn ich nicht mehr essen oder trinken kann, dann reicht es für mich. Eine der ersten Dinge, die ich gemacht habe, ist bei der Kommune eine Selbstbestimmung festlegen. Das ist noch keine Euthanasie, aber wenn es mir zu fiel wird, kann ich sagen: „Den sind wir los, hier hört es auf, ich habe es satt.“ Ich finde es einen Luxus, oder nenne es eine Beruhigung, dass ich meinen Lieben sagen kann „für mich muss es nicht mehr“ (redaktioneller Hinweis: Danny hat einen Kloß im Hals, wenn er darüber spricht).

Ich habe Respekt vor den Patienten, die ich hier sehe und die weiter glauben an ihr Leben mit immer weniger und weniger Komfort. Für mich darf es jedoch aufhören, wenn das Trinken und das Essen ausfällt, wenn ich bettlägerig werde. Ich denke, der belgische Film „Tot Altijd“ hat dabei schon vielen Menschen geholfen, auch mir. 

Wenn man sich verabschieden kann und seinen Lieben sagen kannst „ich liebe dich“, dann ist das viel besser als zum Beispiel ein tödlicher Verkehrsunfall. Sich nicht verabschieden können, ist eine der schlimmsten Dinge. Es ist besser, um sich in Schönheit zu verabschieden, ich will der Gemeinschaft nicht zur Last fallen. 

Hast du Angst vor dem Tod? 

Keine Angst. Ich sehe das mehr, als eine Erlösung meines psychischen Leidens. Es ist sicherlich keine Flucht. Das Überleben ist selbstverständlich ein Instinkt, aber ich finde, dass man das selbst im Griff behalten können muss, und dass man selbst entscheiden können muss, wenn man gehen will. 

Wie wichtig sind ihre Lieben, ihre Familie für dich?

Jetzt werde ich etwas Schwieriges sagen (redaktioneller Hinweis: Danny zerdrückt eine Träne, wenn er es erzählt). Die Familie und die Lieben sind natürlich wichtig. Ich hatte 8 Jahre lang eine Beziehung, und wir haben dann in April geheiratet. Aber die Beziehung mit meiner Frau und der Tochter war nicht gut, und vorigen Donnerstag ist es geplatzt, hat sie ihre Koffer gepackt und ist gegangen. Ich habe mich für meine Kinder aus meiner ersten Ehe entschieden, denn sie waren unwillkommen in meinem eigenen Haus. Ich habe diese Entscheidung getroffen, damit ich mich von meinen Kinder verabschieden kann. 

Hat ALS darin eine Rolle gespielt?

Ja, wahrscheinlich schon. ALS übt Druck auf deine Umgebung aus. Wir hatten eine gute Beziehung und wir haben geheiratet, denn ich wollte meine Freundin nicht ohne finanzielle Mittel hinterlassen. Jetzt wird das nicht mehr gelingen, weil sie es schon aufgegeben hat. Ich bin mir sicher, dass ohne ALS alles nicht passiert wäre. Die Krankheit hat auch im psychischen Bereich seinen Preis, sowohl bei mir als bei meiner Frau und meinen Kindern. Während des Kontaktmoments sehe ich Partner, die nie aufgeben, aber ich denke, dass meine Frau nicht so stark gewesen wäre. Es ist schade. Ich hoffe, diese Situation sei zeitlich und wir können unsere Probleme lösen.

 

Übersetzung: Laura Van Der Haegen

Quelle : ALS Liga-magazine 165 – juli, augustus, september 2014

Share