Annie und Sam

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Annie, Sam, Mantelzorg, ALS

Annie und ihr Partner Sam hatten sich sehr auf ihre Rente gefreut. Dann wurde bei Sam ALS festgestellt und alles veränderte sich. Sie mussten ihre Reisepläne aufgeben und Annie wurde für Sam zur pflegenden Angehörigen. Aber wie fühlt Annie sich in dieser Rolle? Wir haben ihr acht Fragen über ihre Rolle als pflegende Angehörige gestellt.

1. Wie kam es dazu, dass Sie zur pflegenden Angehörigen wurden?

„Im Februar 2015 bekam mein Partner Sam zu hören, dass er ALS hat. Das war eine Woche vor dem Beginn seiner Rente. Seitdem begann der allmähliche Kräfteverfall. Er wurde stets hilfsbedürftiger. Zur pflegenden Person wird man nicht plötzlich, sondern man gerät nach und nach automatisch in diese Rolle. Jetzt, beinahe zwei Jahre später, braucht Sam bei fast allem Hilfe: beim Waschen, beim Toilettengang, beim Anziehen, beim Essen usw. Das Gehen ist für ihn fast unmöglich geworden. Nach allem, was ich gehört habe, ist das offensichtlich erst der Beginn. Wir müssen uns also auf Schlimmeres gefasst machen.“

2. Wie erleben Sie Ihre Rolle als pflegende Angehörige?

„Die Hilfeleistungen beginnen durchzuschlagen, sowohl körperlich aus auch psychisch. Es gelingt mir ziemlich gut, ihn zu versorgen. Doch die Tatsache, dass ich selbst beinahe keinen Augenblick Ruhe habe, führt zu viel Stress. Und Sam fällt immer wieder hin. Ich gebe mein Bestes, um das Hinfallen zu verhindern. Aber das gelingt leider nicht immer. Mit meiner Größe von gerade mal 1,58 m ist es mir beinahe unmöglich geworden, ihn nach einem Fall wieder aufzurichten. Zum Glück habe ich gute Nachbarn, bei denen ich stets anklopfen kann. Aber mit einem Mann, der seine Krankheit nicht annehmen und alles noch selbst tun will, ist es nicht einfach.“

3. Was sind die schönen Momente?

„Wenn er abends sicher von seinem Bett aus Fernsehen guckt, bin ich erleichtert: Wieder ist ein Tag ohne größere Unfälle vorüber gegangen.“

„Nächstes Jahr sind wir zwanzig Jahre zusammen. In dieser Zeit konnten wir einen ziemlich großen Rucksack voller schöner Ereignisse und Erinnerungen sammeln. Sam kommt aus Bulgarien. Die vielen Besuche bei seiner Familie und seinen Freunden sind mir unvergesslich. Auch an unsere Reisen nach Frankreich und an die unzähligen Grillfeste mit Kindern und Enkeln denke ich mit Freude zurück.“

„Hoffentlich können wir den ‚Rucksack‘ noch ein bisschen mehr füllen. Auf Reisen gehen wird wohl nicht mehr möglich sein. Aber wir haben einen großen Kreis lieber Freunde und Familienangehöriger. Sie helfen uns und unterstützen und ermutigen uns, wenn es mal schwieriger ist.“

4. Was sind die schwierigen Momente?

„Offensichtlich wird bei manchen ALS-Patienten das Denkvermögen beeinträchtigt, wodurch sie beispielsweise eine erlernte Sprache wieder vergessen. In Sams Fall ist das das Niederländische. Deswegen gibt es nahezu keine Kommunikation mehr.“

„Ich stelle mir immer häufiger die Frage, ab wann Hilfe zur Bevormundung wird. Der Neurologe hatte mich deutlich darauf hingewiesen, dass Sams Charakter sich ändern könnte. Manchmal erkenne ich ihn nicht mehr, alles muss jetzt sofort passieren. Seine Ungeduld führt dazu, dass ich ab und zu durchdrehe. Alles, was er früher gerne tat, wie z.B. ein Buch lesen, interessiert ihn jetzt nicht mehr. Dabei ist gerade Lesen eine der wenigen Sachen, die er jetzt noch machen könnte. Wenn ich an den Winter denke, wird mir angst und bange. Dann werden die Tage lang, denn es gibt keine Möglichkeit der Ablenkung. Wer einen guten Vorschlag hat, darf sich gern an mich wenden!“

5. Was tun Sie, um sich zu entspannen?

„Wenig oder nichts. Zwischendurch probiere ich, ein bisschen zu lesen oder stöbere im Internet herum. Wenn ich Sam zur Heilgymnastik gebracht habe, erledige ich die Einkäufe. Danach koche ich etwas Leckeres.“

6. Nutzen Sie irgendwelche Dienstleistungen?

„Vorläufig mache ich noch keinen Gebrauch von irgendwelchen Dienstleistungen. Aber ich erwäge jetzt doch, eine Putzhilfe in Anspruch zu nehmen.“

7. Wie sieht bei Ihnen das Verhältnis zwischen Betreuung, eigenen Hobbys und Familienleben aus?

„Für Hobbys habe ich leider keine Zeit. Wir haben allerdings enge Beziehungen zur Familie, regelmäßig kommt jemand auf Besuch. Hier herrscht dann eine muntere Geselligkeit und ich beobachte, dass Sam das noch stets genießt, auch wenn er nicht viel sagt.“

8. Haben Sie einen Tipp für andere pflegende Angehörige?

„Ich würde sagen, dass man vor allem nicht vergessen sollte, an sich selbst zu denken. Aber damit sollte ich selbst wohl dringend beginnen.“

 

Übersetzung: Katia Ombelets

Quelle : Ma-zo

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